Lassen sich Kompositionsgesetze bekannter und berühmter Kunstwerken noch erkennen, wenn sie auf 15 x 11 Pixel verkleinert und wieder vergrößert werden? Bleibt die Farb- und Formgestaltung erhalten oder ergeben sich auch formal neue Werke mit unvorhersehbar grafisch-abstrakten Qualitäten? Diese Fragen bildeten die konzeptuelle Grundlage dieser Reihe von Gemälden im Format 80 x 60 cm.
Neben den größeren Bildern habe ich auch kleinere Versionen im Format 24 x 30 cm bekannter Gemälde nach William Turner angefertigt. Hier ging es mir darum herauszufinden, ob und wie sich anhand der verwendeten Technik jeweils neue Bildschöpfungen ergeben und die Wahrnehmung verändert.
Motive hier jeweils vier Varianten von „The Fighting Temeraire“, „The Burning of the Houses of Lords and Commons, 16. October 1834“ und „The Burning of the Houses of Lords and Commons“.
Das für den Kunsthandel ikonische, Leonardo da Vinci zugeschriebene Werk »Salvator Mundi«, eine Debatte über Zuschreibungen, Diskussionen über den Erhaltungszustand des Originals waren die Zutaten für ein Projekt im Jahr 2021.
Im Internet kursiert ein Foto des Bildes im Originalzustand, das ein weitgehend ruinöses Gemälde zeigt. Es gibt kaum ein Werk vor dem 20. Jahrhundert, das noch nie restauriert wurde und je älter ein Gemälde ist, umso größer ist die Möglichkeit, dass das aktuelle Erscheinungsbild vom Erscheinungsbild abweicht, das es zum Zeitpunkt seiner Entstehung hatte. Im Spätsommer 2021 wurde bei Restaurierung des Gemäldes »Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster« von Jan Vermeer eine großflächige Übermalung entfernt, die einen stehenden Liebesgott zum Vorschein brachte. Nach der umfangreichen Restaurierung der Sixtinischen Kapelle kamen bei der Wiedereröffnung 1994 die von Ruß und Ablagerungen befreiten Farben Michelangelos wieder zum Vorschein. Die Fresken erschienen so leuchtkräftig, dass es lange Debatten auch in Kreisen von Restauratoren gab, ob dieses Erscheinungsbild dem originalen Zustand tatsächlich entsprechen würde.
Der ursprüngliche Erhaltungszustand spielte bei der Vermarktung des Gemäldes nur eine untergeordnete Rolle am äußersten Rand der Kunstwissenschaft. Auch die berechtigte Frage, ob das Erscheinungsbild des restaurierten Werkes eher den Restaurator*innen oder dem ursprünglichen Schöpfer des Werkes zuzuschreiben seien, wurde nicht groß thematisiert. Angesichts der eher rekonstruierenden Restaurierung ist der »Salvator Mundi« ein Werk, das nur so aussieht wie ein Original.
Vom Motiv habe ich 30 Gemälde angefertigt. Das Motiv wurde für das Format 24 x 18 cm in 1 cm großen Kästchen gerastert. Natürlich ist das Werk auch eine Reminiszenz an Andy Warhols Werk »30 Are Better than One« von 1963, ein Tableau bestehend aus 30 Siebdrucken nach Leonardos Mona Lisa.
Mir ging es dabei aber um die subtilen Unterschiede, die sich naturgemäß in der Umsetzung als handgemalte Artefakte ergeben. Dadurch wurde jede Salvator Mundi-Paraphrase zu einem eigenständigen Original. Das würde auch für 300 Bilder gelten. Die Reduzierung auf 30 Einzelwerke folgte lediglich dem Wunsch, das Projekt in einem absehbaren Zeitraum fertigzustellen. Ich wollte während des Projektes herausfinden, wie und in welchem Maße eine Antizipation des Werkprozesses bezüglich der Farbmischungen und des dafür benötigten Zeitaufwands entsteht. Die Frage ist also, ob die Routine zu einem Nachlassen der Konzentration auf die Arbeit und damit auf die Qualität führen wird, oder im Gegenteil zu einer immer exakteren Umsetzung der Vorlage durch zunehmende Professionaliserung und Standardisierung des Werkprozesses.
Als Hochzeitsgeschenk entstand 2020 das Gemälde eines Ausschnitts der Einladungskarte, auf der sich ein kleiner Instax-Ausdruck des Brautpaares Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich befand. Die Karte habe ich mit meinem Smartphone abfotografiert und am Rechner gedreht und positioniert. Wichtig war mir, dass die beiden Köpfe nahezu auf einer Höhe liegen, das Grün der Karte an den Rändern zu sehen war und die Personen in der Kachelung noch erkennbar blieben.
Als ich Wolfgang Ullrich Ende 2018 in die Konzeption meines Projektes Autopsie einer Bildkritik einbezog, arbeitete ich schon über ein Jahr an einem Projekt zu den Abdruckverboten in seinem Buch „Siegerkunst – Neuer Adel, teure Lust“ [1].
Das Buch selbst ist, nach Ullrichs eigenen Worten, „den markanten Veränderungen des Kunstbetriebs seit Beginn des 21. Jahrhunderts gewidmet. Eine Beobachtung ist, dass Künstler nicht mehr grundsätzlich eine Außenseiterrolle einnehmen, sondern in dem Maße, in dem sie Mächtige und Erfolgreiche (Sieger der Gesellschaft) als Kunden haben, selbst über Macht verfügen. Eine weitere Beobachtung besteht darin, dass künstlerische Arbeit oft nicht mehr auf die Werkproduktion beschränkt ist, sondern sich vieles, was im weiteren als Qualität gewürdigt wird, erst in der Postproduktion entscheidet. Für Künstler ist also die Art und Weise, wie sie z.B. in Interviews über sich und ihre Arbeit sprechen, das nachträgliche Transparentmachen ihrer Werkprozesse oder die wechselnde Kontextualisierung ihrer Werke bedeutsam für ihr Ansehen und, vor allem, ihren Marktwert.“
Die kritische Analyse des speziellen Künstler- und Sammlerhabitus und die These einer „Siegerkunst“ als Rückkehr feudalistisch-aristokratischer Strukturen im Kunstbetrieb führten dazu, dass die
Rechteinhaber*innen die Abdruckgenehmigung von insgesamt 8 Abbildungen nicht erteilten. Nicht nur das Buch selbst, auch die Hintergründe der Abbildungsverbote wurden ein Thema in der Fachpresse.
Zu den eher vorgeschobenen als nachvollziehbaren Gründen veröffentlichte Wolfgang Ullrich eine Stellungnahme auf seinem Blog.
In der Regel verzichten Verlage einfach auf den Abdruck, ohne dass eine Lücke beim Leseerlebnis oder ein Wahrnehmungsbruch entsteht. Der Wagenbach Verlag Berlin stellte diesen Sachverhalt im Buch
dagegen explizit dar:
Da ich zur gleichen Zeit auch auf den Streit um die „Causa Wagner“ zwischen Wikimedia Deutschland und den Reiss-Engelhorn-Museen
aufmerksam wurde, habe ich daraus zwei Projekte entwickelt, die Fragen zu Originalität und Reproduktion, zur zweckentfremdeten Instrumentalisierung von Gesetzen und zu Herrschaftsverhältnissen
bei der Zugänglichkeit von Bildern thematisieren sollen.
Für das Projekt „Verbotene Siegerkunstbilder“ war es mir zunächst wichtig, dass detailreiche Motive nicht bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert, sondern sofort erkannt werden sollen. Da das Projekt
als Bilderserie konzipiert wurde, habe ich für meine Technik der Bildrasterung in 1 x 1 cm-Kästchen verhältnismäßig große und identische Formate gewählt. Die Vorlagen entsprachen digitalen
Bilddateien mit der Auflösung von 136 x 96 Pixeln, als Gemälde im Format 140 x 100 cm beinhalten sie jeweils 13056 Kästchen. Da das Buch nur Schwarzweißabbildungen zeigt, hatte das auch für die
Gemälde zu gelten.
Für die Umsetzung entscheidend war nicht die Sichtbarmachung der Motive im Sinne einer Ontologie der Artefakte. Ein simples Abmalen als Bildprotest war mir konzeptuell zu unterkomplex und hätte
den Bezug zum sprichwörtlichen Verbot des Abdrucks im Buch nicht benötigt.
Um den Aspekt des Verborgenen als Synonym des Bildverbots wiederzugeben entschied ich mich, digital generierte Negative aus den im Internet frei verfügbaren Abbildungen anzufertigen. Im
klassische Film-Negativ ist das positive Bild nur latent vorhanden und in der rezipierenden Wahrnehmung ist es allenfalls unter Anstrengung möglich, das Motiv bleibt weitgehend verborgen. Das
Artefakt einer Abbildung des Originals lässt sich nur über den Umweg einer erneuten Umwandlung als Negativ sichtbar machen und somit wieder über die Generierung eines neuen Artefakts.
Im Jahr 1862 schuf der Künstler Cäsar Willich ein Porträt des Komponisten Richard Wagner, das sich heute in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim befindet.
Eine Abbildung findet sich bei Wikimedia.
Unterhalb des Bildes wurde ein Infokasten ergänzt:
„Warnhinweis aus aktuellem Anlass – Gegen die Verwendung auf Wikipedia und Commons haben sich die Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, mit ihren beim Landgericht Berlin gegen die Wikimedia
Foundation und beim Bundesgerichtshof (Vorinstanz:Landgericht Stuttgart), Urteil vom 20. Dezember 2018, Az. I ZR 104/17 - Museumsfotos gegen den betreffenden Wikipedia-Autor erfolgreichen Klagen
gewandt. Die Reiss-Engelhorn-Museen könnten auch gegen andere Nachnutzer dieses Bildes vorgehen. Bei der Nutzung dieses Bildes auch außerhalb Commons ist daher Vorsicht geboten.“
Natürlich wird auf der Wikipedia-Seite nicht das Gemälde gezeigt, sondern ein Digitalisat. Auch wenn das Urheberrecht des ausführenden Künstlers 70 Jahre nach seinem Tod endete, wurde die Abbildung Gegenstand eines Rechtsstreits. Im Jahre 2015 haben die Reiss-Engelhorn-Museen insgesamt 49 Nutzer*innen, die diese Abbildung auf ihren Websites verwendeten, wegen Urheberrechtsverletzung abgemahnt. Die Reiss-Engelhorn Museen argumentierten mit dem Urheberrecht des Hausfotografen, der eine Reproduktionsfotografie des Gemäldes für einen Katalog angefertigt hatte, das von einem Wikipedia-Nutzer eingescannt und als Digitalisat bei Wikipedia hochgeladen wurde. Rechtsgrundlage war hier der zu Recht umstrittene § 72 UrhG [1] und damit die Besonderheit des Schutzes von sogenannten Lichtbildern ohne künstlerische Schöpfungshöhe, der 50 Jahre nach Erstveröffentlichung wirksam bleibt. Um ihren Herrschaftsanspruch an der Nutzung der Abbildung zu festigen, bringen die Reiss-Engelhorn-Museen zudem ein Fotografieverbot mittels Hausrecht in Stellung.
Die Legitimation dieser Praxis durch den BGH [2] verhindert die Zugänglichkeit von Abbildungen eines längst gemeinfreien Gemäldes und gefährdet daeüberhinaus die grundsätzliche digitale Zugänglichkeit aller urheberrechtsfreien Artefakte. [3] [4]
Die Causa Wagner offenbart nicht nur einen neo-feudalistischen, ja absolutistischen Herrschaftsanspruch eines Museums über die Instrumentalisierung des Eigentumsrechts gegen den Zugänglichkeitsanspruch der Öffentlichkeit und gegen Richtlinien der Museen. [5]
Zu dieser Causa gibt es verschiedene Projekte, einiges ist noch geplant. Dabei geht es mir weniger um eine Kritik an den rechtlichen Grundlagen selbst, sondern um die inhärenten Topoi dieser Rechtsauffassungen, die Fragen nach Originalität, Technik, auratischen Aufladungen und dem Charakter von Reproduktionen aufwerfen.
Das erste Projekt war Ende 2017 ein Gemälde. Ich rasterte das von den Reiss-Engelhorn abgemahnte Wikimedia-Digitalisat in 2 x 2 cm große Flächen in einem Gesamtformat von 80 x 60 cm. Um die Wahrnehmung als abgemaltes Pixelbild zu brechen und den Charakter eines gemalten Bildes hervorzuheben, habe ich die Farbe mit einem Holzstäbchen aufgetragen und so eine dreidimensionale Faktur der Malfarbe geschaffen. Das Bild sollte nach Fertigstellung bewusst Wikimedia gestiftet werden.
Ursprünglich beabsichtigte ich keine offizielle oder feierliche Übergabe, diese Solidaritätsaktion wollte ich nur auf meinem Blog veröffentlichen. Das Bild erreichte die Wikipedia Foundation rechtzeitig für eine Ausstellung im Zuge einer Tagung im ZKM Karlsruhe Ende Mai 2018 mit dem Titel „Wem gehört die Kunst?“.
Seitdem hängt das Bild im Deutschlandbüro von Wikipedia.
Mein Text erschien über Umwege etwas später im Blog des Marta Herford, wo am 14.-15. September 2018 auch ein Symposion zum Thema Bild- und Urheberrechte stattfand, zu dem ich für eine Podiumsdiskussion am ersten Tag ebenfalls geladen war. [5] [6] [7]
Neben themenbezogenen Projekten beschäftige ich mich seit 2016 auch mit Porträts. Kaum ein anderes Themenfeld bietet in der Umsetzung als gerastertes Bild ein ähnlich großes Spektrum der Wahrnehmung zwischen Erkennbarkeit und Abstraktion wie das Porträt als artifizielle Präsenz des menschlichen Subjekts.
Nicht nur unsere physiologischen Wahrnehmungsprozesse sind darauf ausgelegt, ein Gesicht zu identifizieren. Moderne Kameras werden bei dem (weiter unten) gezeigten Porträt von Annekathrin Kohout automatisch den Fokus auf den Bereich des Gesichts und/oder der Augen legen.
Die Rasterung eines menschlichen Gesichts wird aber auch verstörend wahrgenommen. Neben dem Wunsch, ja Drang, ein Gesicht identifizieren zu wollen, wird hier die Konvention der Bildzensur und des Persönlichkeitsrechtes evident: das absichtliche Verbergen des Gesichts durch „Verpixelung“, die in seriösen Bildberichterstattungen praktiziert wird.
Zu den ersten Werken überhaupt, die ich im Stil der Pixel-Paraphrasen umsetzte, gehört das Bild meines Freundes Wolfgang Ullrich aus dem Jahr 2016 nach einem Porträtfoto. Die Vorlage habe ich digital erstellt und vom Display meines Smartphones abgemalt. Die Strenge der im Foto angelegten Komposition wird durch die Rasterung verstärkt, gleichzeitig löst sich der Figur-Grund-Kontrast weitgehend auf. Das Bild gehört dadurch bis heute nicht nur zu meinen persönlichen Favoriten, es führte auch zu weiteren Paraphrasen der Vorlage.
Ausgehend vom ersten Bild habe ich bis 2018 drei weitere Varianten umgesetzt, um die Eigenschaften des gemalten Artefakts einer Vorlage auszuloten und die Wahrnehmung der artifiziellen Präsenz einer fotografierten Person in ein differenziertes ästhetisches Erlebnis zu transformieren.
Als Auftragsarbeit entstand 2017 das Porträt nach einem Foto, auf dem die Medienwissenschaftlerin vor einem hinter Glas gerahmten Foto steht, das den Reflex des Blitzlichtes zeigt. Von möglichen Varianten des Ausschnitts blieb am Ende das Porträt im Goldenen Schnitt, der durch den hellen Lichtreflex gebrochen wird.
Da ich die Vorlage auf einem Tablet hatte und die Arbeit sowohl in natürlichem Tageslicht als auch mit einer Tageslichtlampe stattfand, führten die Unterschiede der Farbtemperaturen zu subtilen Differenzierungen in einzelnen Kästchenreihen, die bewusst unretuschiert blieben und den Charakter als gemaltes Artefakt hervorheben.
Als kritische Hommage an den „Denker vom Dienst“ ist dieses Porträt aus dem Jahr 2019 gedacht, das die in den Tonwerten reduzierte Version eines Negativs des Covers von Brocks Buch „Theoreme“ zeigt.
Es gibt nur wenige Theoretiker, die mich seit den 1980er Jahren so zum Nachdenken brachten wie Bazon Brock, aber garantiert niemanden, dessen Thesen und Auffassungen ich mit einem größerem Spektrum aus Zustimmung, Kritik und Ablehnung begegnete.