Fotoprojekte

Bilder eines Krieges als ästhetisches Phänomen

Kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine begann ich am 20. März 2022 mit einem Fotoprojekt zu den in Medien verbreiteten Fotos im Krieg. Genauer, zu den Fotos im Newsblog von »ZEIT online«. Mir ging es nicht um Bewertungen oder Auswahl, nicht um Bilddetails, sondern um die formale Ästhetik der Fotos in der Rezeption.

 

Die Fotos im Newsfeed habe ich täglich am späten Abend vom Bildschirm frei abfotografiert. Ich adaptierte ein Vergrößerungsobjektiv bewusst etwa 2 cm zu nah an den Sensor, stellte die Blende auf f8 und erzeugte dadurch eine einheitliche Unschärfe unabhängig vom Abstand zum Monitor, die den intuitiven Blick auf bildbestimmende Details unterbindet und die Aufmerksamkeit auf das Gesamtbild lenkt.




Die Unschärfe der Fotos aus dem Newsfeed zu einem Krieg verursacht ein Unbehagen, nicht zu wissen, ob dort vielleicht verstörende Darstellungen von Gewalt und Zerstörung abgebildet wurde. Die Frage ist aber, ob dieses Unbehagen die inhärente Ästhetik fotografischer Bilder überlagern kann. Die vermeintliche Indexikalität des fotografischen Bildes als Zeichen einer unbefangenen Dokumentation ist auch ein Mythos, wenn ein Schlachtfeld in der Ästhetik aus Komposition und kamerainterner Bildoptimierung untergeht. Ich beendete das Projekt mit den letzten Bildern am 04. Juni 2022, das Projekt umfasste insgesamt 2.725 Fotos.


Reproduzierte Logik: Fotografie als negative Funktionärstätigkeit

Nachdem ich 2018 ein Google-Smartphones anhand des Wagner-Porträts so oft reproduzierte, bis das ursprüngliche Foto aufgrund der Wiedergabe-Algorithmen der Kamera-KI kaum noch erkennbar war (auf dieser Seite weiter unten unter »Wagneriaden«), wiederholte ich diesen Vorgang mit internen Einstellungen einer Digitalkamera. Verschiedene Einstellungsmöglichkeiten der verwendeten Fuji-Digitalkamera sollen das Darstellungsverhalten alter, analoger Filme simulieren und beeinflussen Werte für Kontrast, Schärfe, Farbsättigung und Farbverhalten. Vorlagen war das erste Foto von Joseph Nicéphore Niépce und ein Digitalisat des Gemäldes »Musiker in der Oper« von Edgar Degas. Sukzessive wurden alle Aufnahme unmittelbar nach der Übertragung direkt vom PC-Monitor erneut mehrfach abfotografiert.

Kontaktabzug mit 18 Fotos, die die schrittweisen Veränderungen des Niépce-Fotos zeigen.
Kontaktabzug mit 20 Fotos, die die schrittweisen Veränderungen des Degas-Gemäldes zeigen.

Vilém Flusser schrieb vor rund 40 Jahren über Fotografen als Funktionäre ihrer mechanischen Apparate. Die Freiheit der Einstellungsmöglichkeiten zur Beeinflussung digitaler Bildästhetik verschleiert die Tatsache, dass heutige Kameras überhaupt keinen Zugang mehr zu den Mechanismen erlauben, die sie den Fotograf*innen als Bedienelemente zur Verfügung stellen. Kreation und Schöpfung in ästhetischer Hinsicht bewegt sich nur innerhalb dieser gesetzten und per Software vor-geschriebenen Freiheit. Ziel des Projektes war es deshalb, diese Logik der singulären Bildgenese zu brechen und die Regeln gegen alle Regeln anzuwenden. Die Kamera erzeugt in einem wiederholten Reproduktionsprozess nach ihren Gesetzen daher Fotografien, die in dieser ästhetischen Form nie vorgesehen oder gar beabsichtigt waren.

 

Ausgehend von einer monochrom-warmen Fotografie hat die Kamerasoftware nur durch Verschiebung des Weißabgleichs und der Verwendung einer Fuji Velvia-Filmsimulation das Endergebnis selbst geschaffen. Aufgenommen habe ich die Fotos jeweils im Querformat und zu Schluß einen Kontaktabzug ins Hochformat gebracht.

 

Das bislang zweite Projekt zu diesen fotografischen Bildphänomenen umfasste einen ständigen Wechsel der Kombination aus Filmsimulation, Weißabgleich, Kontrastwert und chromatischem Farbverhalten. Als Vorlage nahm ich als eigenes Werk das Porträtgemälde von Annekathrin Kohout, das hier unter »Porträts« zu finden ist.


KI-Wagner

Unmittelbar nach Fertigstellung des Wagner-Gemäldes arbeitete ich konzeptuell an weiteren Projektideen zur Causa Wagner, die ich lediglich grob festgehalten hatte. Für die Idee eines abgemalten Digitalfotos der Wikipedia-Seite existierten bereits einige Schnappschüsse vom Monitor.

Mir fiel dabei auf, dass die Fotos meines Google Pixel-Smartphones das Gemälde erheblich schärfer und leuchtender wiedergaben als die Aufnahmen mit meiner Vollformatkamera und einem guten Objektiv. Die KI des Smartphones optimierte, ja perfektionierte den leidlich guten Scan des Gemäldes auf der Wikipedia-Seite im Sinne der Vorstellungen von perfekten Fotos. Nicht nur die Schärfe, auch Kontrast und Farbsättigung waren erhöht. Ich beschloss daraufhin, eine sich stets reproduzierende Serie von Smartphone-Fotos anzufertigen, bei der das Gerät stets das zuvor aufgenommene Fotos vom Monitor ablichtete.

Screenshot des Google-Albums mit den abgespeicherten Smartphone-Fotos
Screenshot des Google-Albums (chronologische Darstellung, neueste Bilder oben)

Die Fotoserie entwickelte sich wie eine Abfolge von Metamorphosen, die durch den Einfluss der Smartphone-KI differenzierten Neuschöpfungen generieren. Dieses Projekt stellte für mich den Wert und den Charakter der Fotografie als Mittel der Reproduzierbarkeit einer Realität grundsätzlich in Frage und beeinflusste nicht nur mein Projekt Autopsie einer Bildkritik, sondern führte auch zu den Überlegungen, welche Rolle die Technik in der Fotografie innhat.

Letztes Bild der Fotoreihe
Die letzte, durch die Smartphone-KI generierte Metamorphose der Fotoreihe

Das Projekt ist mit einer kleinen Auswahl der generierten Fotos in einem Google Photo-Album beschrieben:
https://photos.app.goo.gl/byUaR7APAfGMNFQX7