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Offene Bilder

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Mit dem Text-zu-Bild-Tool DALL-E generiertes Bild, das ein Smartphone in der Mitte zeigt in einem Mondrian-ähnlichen Raster mit weiteren Bildern in den stark farbigen Flächen.

Im zweiten Teil meiner fünfteiligen Artikelserie zu KI-Kunst schrieb ich, dass digitale Bilder oft nur über konkrete Hinweise mittels Alternativtexten oder Hashtags einer bestimmten Bildgattung zuzuordnen seien und dass sie durch die Smartphone-Fotografie ihren Charakter als singuläre Werke verloren hätten. Die grundsätzliche Akzeptanz der KI-Bilder als neue Bildformen führte ich auf die Allgegenwart digitaler Bildphänomene zurück, die nicht mehr klar als Original, Kopie, Pastiche oder Plagiat voneinander abgegrenzt werden können.
Diese Thesen sollen hier differenzierter beschrieben werden, erweitert um den Gedanken einer grundsätzlichen Offenheit der Bilder, die erst im digitalen Raum zutage tritt. Auch hier soll es um Bilder im Kontext der Kunst gehen.

 

Die Kontexte, von denen noch mehrfach die Rede sein soll, sind durch Codes definiert, die mit der Rezeption von Bildern abgerufen werden. Diese Codes erscheinen als festgelegt und eingeschrieben, sind aber je nach Kontext nur zugeschrieben und damit veränderlich.

Transformationen und Codes des Kunstraums

Seit Duchamps Ready-Mades, spätestens aber mit den Erfolgen von Künstlern wie Dubuffet oder den Vertreter*innen der Pop Art hatten sich verschiedene Formen von Nicht-Kunst in den Sammlungen und Museen als Kunst etabliert und zur Entgrenzung des Kunstbegriffs geführt.
In der bildenden Kunst waren Ismen und Richtungen jedoch immer klar voneinander abgegrenzt. Die Entgrenzung war vor allem eine Erweiterung der traditionellen Zuweisungen der Bildgattungen und reichte von immersiven Tendenzen bis zur Aneignung von Codes, Stilen und Praktiken aus populärkulturellen oder warenästhetischen Kontexten.
Bis zur Digitalmoderne blieb diese Aneignung eingleisig, der entgrenzte Kunstbegriff ermöglichte die Transformation populärkultureller oder warenästhetischer Bildästhetiken in den Kontext der Kunst.
Umgekehrt dienten Bilder aus dem Kunstkontext als Träger von Botschaften, beispielsweise in der Anzeigenwerbung, jedoch nicht, um die Bilder in Kontexte der Nicht-Kunst zu überführen und zu trivialisieren; vielmehr sollte das beworbene Produkt mit den bestehenden Kontexten und Codes der Kunst aufgeladen und bedeutungsvoll erhöht werden.

Diese Transformation von populärkulturellen oder warenästhetischen Bildsprachen und Ästhetiken war nur möglich, weil sie im Schutzraum der Kunst ausschließlich mit den dort geltenden Codes gezeigt und rezipiert wurde. Der oft gehörte Satz „Kunst kann heute alles sein“ ist somit ungenau, korrekt wäre, dass im Kunstraum alles zu Kunst wird.

Mit der Moderne zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde dem Kunstraum das Primat, ja die Herrschaft über Bildästhetik zugeschrieben, zumindest theoretisch, in der Praxis dauerte die umfassende Einlösung dieses Versprechens noch etwa 100 Jahre. Aus dieser zugewiesenen und dann allgemein akzeptierten Autorität heraus konstatierte Ad Reinhardt „Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere“, Jonathan Meese proklamiert „Kunst ist Chef!“ und Markus Gabriel feiert in einem Buch „Die Macht der Kunst“.
Die Kontexte und Codes erschienen so wirkmächtig, dass selbst der entgrenzte Kunstbegriff ihnen nichts anhaben konnte und Harald Szeemann schon 1972 auf der documenta 5 neben zeitgenössischen Kunstströmungen wie Happenings oder Fluxus auch Bildwelten der Frömmigkeit, politische Propaganda, Kitsch, Werbung, Warenästhetik und Bilder von psychisch kranken Menschen zeigen konnte. Gegen jegliche Vereinnahmung, Trivialisierung oder der Egalisierung als Beliebigkeit schienen die Codes des Kunstraums immun zu sein.

 

Mit der Entstehung des digitalen Bildraums änderte sich an diesen Codes und Zuschreibungen zunächst wenig, der Kunstraum wurde im Internet präsent, so wie er bereits in Bildbänden und Kunstzeitschriften präsent war.

Entfesselte Bilder ohne Macht

Digitale Fotokameras führten nach der Jahrtausendwende zu einer ersten, exponentiellen Zunahme von Bilddaten. Die nicht mehr an die Digitalisierung physischer Bildträger gebundenen Fotos konnten mit Programmen und Online-Tools verfremdet, verändert oder kombiniert werden.

Wurden 2013 weltweit 660 Milliarden Fotos aufgenommen, waren es 2017 bereits rund 1.2 Billionen, innerhalb von 4 Jahren hatte sich die Anzahl der Fotografien nahezu verdoppelt. Ursache dieser extrem gesteigerten, nun entfesselten Fotografie war die Einführung des iPhones im Jahr 2007 und die nachfolgenden Smartphones anderer Hersteller. In Kombination mit den Sozialen Medien wurden Smartphones innerhalb weniger Jahre zum zentralen Ort für die Produktion, Partizipation und Rezeption von Bildern im digitalen Raum.

Als Folge erodierte nicht nur die Relevanz von Originalität, Urheberschaft, Provenienz und Werksingularität im exponentiell ansteigenden Datenstrom entfesselter Bildphänomene. Fest eingeschriebene Kontexte mit zugewiesenen Codes wurden im digitalen Raum durch die zunehmende Dynamik aus Aneignung, Bearbeitung und Neuinterpretation immer fragiler und durchlässiger.
Aus vorher eindeutig kontextualisierten und damit abgegrenzten Phänomenen der Kunst, Nicht-Kunst oder Fotografie wurden smarte Bildphänomene im digitalen Raum, inklusive neuer Kulturtechniken wie Selfies oder Memes, die nicht mehr klar und eindeutig voneinander zu trennen waren. Durch diese Dynamik verloren vor allem die Codes des Kunstraums im digitalen Raum ihre Wirkmächtigkeit.

Das grundsätzlich promiske Wesen der Bilder war durch die Aneignung und Verbreitung ikonischer und berühmter Meisterwerke als Devotionalien der Museumsshops, auf Kalendern, Bierdeckeln, ja Skatkarten im Grunde immer offensichtlich und erkennbar. Millionenfach angeeignet und verwertet waren diese Bilder Teil eines omnipräsenten Trivialkanons. Im Kunstraum jedoch blieben die Werke vor der Rekontextuierung als Trivialisierung klar abgegrenzt und geschützt.

Nun ließe sich argumentieren, dass die für eine Kunstrezeption konstitutive Materialität und Singularität der Originale eine gegebene und klare Grenze zu den trivialisierten Aneignungen, Reproduktionen oder Verwertungen darstellen. Das erklärt jedoch nicht, warum zur Rezeption heute das Smartphone als Werkzeug der Aneignung gehört und Fotos der Werke aus dem Kunstraum direkt im digitalen Raum landen, um geteilt, kommentiert und verwertet werden. Es erklärt noch weniger, dass Reproduktionen als Kunstdrucke weder Materialität noch Singularität der Originalwerke besitzen und offensichtlich promisk genug sind, einen Platz in Wohnbereichen, in Restaurants oder in Hotels zu finden, als Kunst, professionell gerahmt und angemessen präsentiert, ohne Dekorationsverdacht kunstferner Trivialisierung oder gedankenloser Beliebigkeit.


Materialität und Singularität von Kunstwerken belegen somit nicht hinreichend den Schutzcharakter des Kunstraums. Die dem Kunstraum zugewiesenen Codes hätten ihre unbestreitbare Wirkmächtigkeit dennoch nicht aus sich heraus für 200 Jahren festigen können. Dessen Wirkmächtigkeit ließe sich aber in der wechselseitigen Verstärkung mit der Wirkmächtigkeit von Aufladungen der Kunstwerke erklären. Diese sich gegenseitig verstärkende Wechselbeziehung von Raum und Objekt würde also eine Doppelexistenz definieren, vergleichbar mit der Beziehung einer Reliquie zu der für sie errichteten Kathedrale. Durch diese potenzierte Wirkmächtigkeit waren die Werke auch stets doppelt geschützt, einerseits durch den Kunstraum, andererseits durch die ihnen zugeschriebenen Aufladungen. Der Vergleich mit der Reliquie in der Kathedrale war bewusst gewählt, denn Räume außerhalb des Kunstraums haben in der Regel keine so starke Wirkmächtigkeit mit Ausnahme von Sakralbauten. Man könnte sagen, dass das Kunstwerk im Zeitalter seiner millionenfachen Reproduzierbarkeit eine Aura nur im Kunstraum besitzt, wo man noch fest an sie glaubt. Die Geschichte des Ikonoklasmus beruht schließlich auch auf dem Umstand, dass den an diesen Orten präsenten Objekten eine besondere und in den Augen der Ikonoklasten falsche Wirkmächtigkeit zugeschrieben wurde.

Wird die Wechselbeziehung zwischen Bildern und Kunstraum gelöst, verschwindet auch die doppelte Wirkmächtigkeit der Codes, die den Werken im Kunstraum zugewiesen wurden. Das promiske Wesen der Bilder tritt dann offen zutage.

Erst der digitale Raum hat wie kein anderer Raum zuvor diese Verbindung und Wechselbeziehung radikal aufgelöst. Im digitalen Raum teilen sich Bilder der Kunst den Platz mit allem anderen. Nicht mehr fest kontextualisiert, offen und promisk gleichen sie in ihrer gleichrangigen, nicht mehr erhöhten Bedeutung den Bildern in Wunderkammern der Herrscher und Fürsten der Vormoderne. Im digitalen Raum zirkulieren sie darüberhinaus in einem heimatlosen und vogelfreien Zustand wie zahllose kirchliche Artefakte nach den Säkularisationen während der Reformationszeit oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Bilder müssen sich sowohl der Quantität entfesselter Bildphänomene als auch der Aufmerksamkeitsökonomie stellen. Erschwerend kommt hinzu, dass alle Codes, die Bildern im Kunstraum zugewiesen werden, auch nur dort ihre Wirkmächtigkeit entfalten können, im digitalen Raum bestimmen andere Codes die Wirkmächtigkeit. Nicht Aura, Heilsversprechen oder interessenloses Wohlgefallen, sondern Sichtbarkeit, affizierende Ästhetik sowie Möglichkeiten der Aneignung, Teilhabe und Partizipation definieren Parameter für Relevanz. Bilder des Kunstraums können ebenfalls Teil von persönlichen Stories, Reels oder anderen social media-Formaten und damit auch eingehegt werden, aber nicht mehr als singuläre Werke im fest zugewiesenen Kontext der Kunst als Bedingung, sondern als smarte Bildphänomene zahlloser persönlicher Geschichten in völlig unterschiedlichen Funktionen, Kombinationen und Kontexten, von denen einer auch der Kunstkontext sein kann. Die Bedingung wird zum Konjunktiv.

Belegen lässt sich das auch anhand eines veränderten Bilder-Kanons im digitalen Raum, der nicht nur der Aufmerksamkeitsökonomie der Sozialen Medien geschuldet ist. Präraffaelitische Künstler*innen, Tendenzen des Symbolismus oder der Art Nouveau, die sowohl im traditionellen Kanon als auch im allgemeinen Verständnis von Kunst seit dem 20. Jahrhundert keine nennenswerte Rolle mehr spielten, eignen sich durch ihre Bildsprachen perfekt für kommunikative Aneignungen, Paraphrasierungen, Mash-Ups oder Memes im digitalen Raum.

Veränderte Kontexte, neue Interpretationen

Durch die Verbreitung der offenen Bilder in digitalen Räumen spielt der White Cube nur noch die Rolle als weiterer Ort für eine bestimmte Gattung von Bildphänomenen, vielleicht noch als Referenz einer letzten Bastion der Kategorie Kunst, aber nicht mehr singulär als primärer und erst recht nicht einziger Ort. Der Verlust traditioneller Kontexte und Codes hat somit auch einen direkten Impact auf den White Cube. Es entsteht eine Konkurrenzsituation zwischen Bildern im nicht-digitalen Raum und denen im digitalen Raum. Es ist zukünftig aber nicht mehr der physische Schutzraum der Kunst, der die Referenz für Bildphänomene auf dem Smartphone oder in den Sozialen Netzwerken bildet wie noch in den Anfangsjahren der Digitalmoderne. Dies sehe ich als eigentlichen Paradigmenwechsel der bisherigen Entwicklungen offener Bilder: die Referenzverschiebung vom nicht-digitalen in den digitalen Raum.

Der Verlust der Autorität über Bildästhetik, Referenz, Schutz und einst wirkmächtiger Codes des Kunstraums führt schon seit mehreren Jahren zu einer Verunsicherung bei denjenigen, die diese Kontexte und die Wirkmächtigkeit der Kunst bewusst schätzten und gegen antiemanzipatorische und antimodernistische Tendenzen verteidigten. Mit diesen Verlusten hat die Kunst auch ihre wichtigsten Aufladungen verloren, selbst wenn es nicht mehr um orthodoxe Kunstreligiosität und überkommene Geniemythen geht. Dennoch sind mit dem Begriff Kunst immer noch Versprechen verbunden: das der sinnstiftenden Wirkung, einer veränderten Sichtweise, Quelle der Inspiration oder der Auseinandersetzung mit dem eigenen Dasein. Natürlich war und ist Kunst auch immer zugleich Handelsware, Dekoration, Objekt der Hybris oder Repräsentationsmittel von Herrschaft. Alle Versprechen der Kunst lapidar vom Tisch zu fegen fiele aber auch mir nicht leicht, weder als Maler mit konzeptuellen Ansprüchen, noch als Angehöriger einer Generation, die ganz selbstverständlich noch an einige Versprechen der Kunst zu hoffen wagt.

Die Verluste jedoch lauthals pauschal zu beklagen hieße, auch die blinden Flecken und regressiven Tendenzen weiterhin billigend in Kauf zu nehmen, die die Moderne, ja die ganze Hochkultur im Schatten der Versprechen bis heute begleiten. Die Trennung der Räume und mit ihr die Auflösung wirkmächtiger Codes ermöglichten im digitalen Raum erst eine notwendige, ja überfällige Umcodierung bezüglich der Kritik und Bewertung von Bildern im Kunstraum.
2022 wird als Kunstjahr mit dem unsäglichen Antisemitismus-Skandal der documenta fifteen in Erinnerung bleiben. Aufgegriffen und dokumentiert zuerst im digitalen Bildraum, folgte ein unverantwortliches und undurchsichtiges, ja amateurhaftes Verhalten und Lavieren durch viele Verantwortliche.
2020 gab es die Debatte um ein Bild des Malers Georg Herold im Bestand des Städel Frankfurt, das einen PoC zeigt, auf den mit einem Ziegelstein geworfen wird und im Titel das N-Wort trägt, aufgefallen und dokumentiert im Netz, das ansonsten vorbildlich im digitalen Raum aufgestellte Städel war zunächst arg-, hilf- und ratlos.
2019 dachte die Schirn Frankfurt vielleicht, zur Ausstellung König der Tiere – Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika mit den schönen und erhabenen Bildern aus Deutsch-Ostafrika würden hier und da ein paar homöopathische Kurzinfos zum deutschen Kolonialismus reichen, wo doch die Debatten um Kolonialismus und Postkolonialismus schon lange im Netz und dann noch im Feuilleton rauf und runter debattiert worden waren. Für die Schirn offenbar total überraschend, gab es doch Proteste und Kritik in social media-Kanälen. Unter großem Hurra musste die Ausstellung zur Ergänzung angemessener Informationen kurzfristig schließen, um sie dann wieder zu öffnen und das wird wohl kaum als Glanzparade und ruhmreiches Husarenstück in die Geschichte der Kunsthalle eingehen.

Wenn ich weiter oben schrieb, der White Cube sei nur noch ein weiterer Ort für bestimmte Bildphänomene, so lässt sich ergänzen, dass das auch für die Relevanz bezüglich gesellschaftlicher Auseinandersetzungen im Kunstraum gilt. Es ist immer seltener der Kunstraum, der Debatten bewusst initiiert, Missstände sichtbar macht oder gar emanzipatorische Diskurse bestimmt. Es erscheint eher so, dass die Institutionen zeitweise überrascht und unvorbereitet, ja hilflos und überfordert auf Probleme und blinde Flecken in ihren eigenen Kontexten reagieren, die deshalb zuerst im digitalen Raum thematisiert werden.

Vielleicht war es auch naheliegend, dass die Aktivist*innen von „Letzte Generation“ berühmte Kunstwerke als Ziel wählten und anders als Greenpeace wenige Jahrzehnte zuvor nicht an den Orten der Umweltzerstörung tätig wurden. Die gut geschützten Bilder interessierten die Umweltaktivist*innen jedoch nicht als Werke der Kunst. Es ging ihnen nicht um einen ikonoklastischen Akt und auch nicht um die Zerstörung eines singulären Andenkens wie beim Sturz konkreter Denkmäler. Es ging ihnen überhaupt nicht um Kunst. Das haben viele, mich eingeschlossen, den Aktivist*innen zum Vorwurf gemacht, aber eher aus Unverständnis und fehlender Überlegung heraus, dass es hier eventuell um eine völlig andere Kontextualisierung ging.
Die Werke standen in den Aktionen nicht für Kunst, sondern für etwas, was allgemein als wertvoll und darüber hinaus als schützenswert angesehen wird und deshalb in einen völlig neuen, freilich überraschenden Zusammenhang zur drohenden Klimakatastrophe gebracht wurde. Entscheidend ist dabei vielleicht auch, dass die „Letzte Generation“ der Generation Smartphone angehört, der eine Zuschreibung und Einhegung von Bildern in unveränderliche Kontexte und Codes des Kunstraums bereits fremd geworden ist.

Offene Bilder – offene Zukunft

2022 erfolgte mit den KI-Bildgeneratoren ein neuer Paradigmenwechsel. Es ist jetzt schon zu beobachten, dass solche Tools die wenigen, noch bestehenden Kontexte und Codezuweisungen aus der Zeit der Moderne endgültig in die Krise führen.

Als die ersten KI-Bilder im Frühjahr 2022 in den Fokus der Sozialen Medien geriet, hatten Text zu Bild-Generatoren bereits eine Dekade der Entwicklung hinter sich. DALL-E 2 von OpenAI und das technisch schlechtere, aber frei zugängliche Tool DALL-E mini/Craiyon sorgten dann für einen ersten Hype mit zahllosen KI-generierten Bildern in den Sozialen Medien. Diese Bilder waren affizierend, aufregend und überraschend. Es war klar, dass hier völlig neuartige Bildphänomene auftauchten, die weder verschwinden, noch die Welt der Bilder unbeeinflusst lassen würden.

KI-Bilder beeinflussen den digitalen Raum vermutlich nachhaltiger als alle Bildphänomene zuvor. Der Grund liegt in der Subtilität ihrer Erscheinung, die die Herkunft einer völlig neuen Form der Bildgenese verbirgt. Frühe, von Computern generierte Bilder benötigten zunächst die Transformation in die Materialität, damit sie als Bilder in die Kontexte und Codes des Kunstraums passten. Herbert W. Franke verwendete Siebdrucke, andere Künstler*innen präsentierten ihre Werke in Analogie zu traditionellen fotografischen Arbeiten gerahmt hinter Glas. Die von den Abmessungen her vergleichsweise kleinen KI-Bilder eignen sich nur mit einem Mehraufwand als Druckvorlagen.

Im digitalen Raum bewegen sich die KI-Bilder in ihrem Element, denn kein Bildphänomen zuvor zeigte eine derartige Offenheit und Kompatibilität an bestehende Tendenzen, Kontexte und Praktiken. Je weiter die Versionen voranschreiten, umso unklarer wird die Trennung zwischen Digitalisaten, Digitalfotos, computergenerierten Artefakten und KI-Bildern.
Konnten offene Bilder im digitalen Raum bislang zumindest noch den bestehenden Bildgattungen zugeordnet werden, ist das zukünftig nicht mehr möglich. Die Kennzeichnung als Gemälde, Grafik oder Fotografie wird keine sicheren Rückschlüsse mehr auf die tatsächliche Bildgenese zulassen.

Auf Twitter entdeckte ich den Hashtag #fauxphotograph. Ein guter Begriff, um den Einfluss von KI-generierten Bildern auf dem Gebiet der fotografischen Bilder zu beschreiben. Da die Tools fotografische Bilder immer besser simulieren können, wird vermutlich zukünftig in der Wahrnehmung gar nicht mehr differenziert, ob ein Foto noch ein Apparateprodukt ist, stark bearbeitet wurde oder aus einem KI-Tool stammt. Nicht nur, weil das dann nahezu unmöglich ist, sondern weil es niemanden mehr interessieren wird. Vielmehr werden die Bilder als fotografische Phänomene ohne zwingende Korrelationen zu einem Wirklichkeitsbezug wahrgenommen. Der indexikalische Charakter der Fotografie in fester Annahme einer kausalen Beziehung zur Wirklichkeit und mit ihm Barthes' Es ist so gewesen-Erlebnis hat dann keine Bedeutung mehr.

Mit kulturpessimistischer Konnotation könnte man sagen: KI-Bilder dringen so unbemerkt in den digitalen Bildraum ein wie ein schleichendes Gift in einen Organismus. Man könnte aber auch einfach ohne jegliche Bewertung feststellen, dass sie dort durch ihre Erscheinungsformen überall und unmittelbar Anschluss an die schon bestehenden, de- und rekontextualisierten Bildphänomene finden und dass nach dem Verlust der Relevanz von Urheberschaft, Originalität und Provenienz nun auch Bildgenese im digitalen Raum keine relevante Rolle mehr spielen wird.

Sollten die letzten Reste des Glaubens an inhärente Heilungskräfte der Kunst durch den Verlust des White Cube-Kontextes ebenso verschwinden wie der Glaube an die Evidenz der Indexikalität fotografischer Bilder, könnte man diese Entwicklung nämlich auch als endgültige Befreiung der Kunst und Fotografie betrachten. Alle Bildphänomene müssen sich gleichrangig in den Räumen ihres Erscheinens bewähren, aber sie werden durch den Verlust fester Kontexte auch nicht mehr in feste Korsetts vermeintlich reiner Kunst oder echter Fotografie gezwängt. Perfekte Beispiele bieten die Arbeiten des Fotografen und Künstlers Boris Eldagsen und die Vielfalt der Bilder in der KI-Galerie von Marcus Biniek.

Eine gute Zukunft wird vermutlich die postautonome Kunst haben, die Wolfgang Ullrich in seinem Buch Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie beschrieben hat. Kunst also, die einerseits Teilhabe oder Bekenntnisse ermöglicht und sich mit eindeutigen Adressierungen sogar als Sneaker oder Art Toy endgültig vom White Cube emanzipiert hat, ohne ihn zu verneinen, und die mehr bietet als die ausschließliche Autorität der Autonomie im Sinne von Reinhardts Diktum.
Verrätselte Werke ohne weitere Relevanzmerkmale des digitalen Raums werden es dagegen schwer haben, benötigten sie doch zwingend ergänzende Zuweisungen als Codes, die aber kaum noch wirkmächtig genug sein werden, um gegen die Diversität der auf den digitalen Raum zugeschnittenen Bildphänomene zu bestehen.


Gleichzeitig müssen sich Bildphänomene im nicht-digitalen Raum abheben von den Bildphänomenen im digitalen Raum, um als Kunst dort weiterhin eine ihnen zustehende Existenzberechtigung zu bewahren. Ich selbst habe keine Ahnung, welche Bilder zukünftig entstehen werden. Vielleicht wird das singuläre Werk irrelevant, um stattdessen die Entstehung, die Werkgenese als menschlichen Akt in den Vordergrund zu stellen. Vielleicht wird das singuläre und physische Kunstwerk aber auch noch relevanter, nicht mehr aus kunstreligiösen Gründen, sondern als materiell manifestierte Erscheinung der besonderen Genese menschlicher Artefakte. Es wäre der Versuch, Bilder wieder enger in den Kunstraum einzuhegen. Diese Aufwertung des materiellen Werkcharakters als Gegenströmung zum dominierenden digitalen Raum wird aber nur in Verbindung mit dem Verzicht auf obsolet gewordene Heilsversprechen, Autoritätsansprüche und Aufladungen eine Relevanz erhalten.